Aller Anfang

Jede Organisation hat eine Vorgeschichte. Die der Aktion Fisch­ot­terschutz beginnt quasi in den dreißiger Jahren. Denn da befasste man sich in Deutschland letztmalig wissenschaftlich mit dem Fisch­ot­ter. Rund vierzig Jahre lang geriet diese Tierart dann in Vergessenheit. Erst in den 1970er Jahren erinnerte man sich ihrer wieder – um nun festzu­stellen, dass der Fisch­ot­ter in West­deutsch­land kurz vor dem Aussterben stand.

 

Als am 19. Mai 1979 in Braun­lage die Aktion Fisch­ot­terschutz e.V. gegründet wurde, ahnte wohl auch dessen erster Vor­stand noch nicht, dass sich daraus eine der innovativsten deutschen Naturschutzorganisationen entwickeln würde.
 

Claus Reuther (* 07.11.1950 – † 29.12.2004)

Claus Reuther gründete 1979 die Aktion Fisch­ot­terschutz e.V. und errichtete unter deren Dach 1988 das weltweit einzig­artige OTTER-ZENTRUM Hankensbüttel. Über 25 Jahre lang hat er den Natur­schutz­ver­band mit größtem Engagement geführt und wesentlich geprägt.

 

Als überaus erfolgreicher Forstmann, For­scher und Manager eines Natur­schutz­ver­bandes sowie Initiator zahl­reicher – mit Preisen bedachter – Naturschutzprojekte, verschaffte er sich international den Ruf eines ausgewiesenen Experten für Otter und deren Le­bensräume.

 

Als Mann mit unverwechselbarem Charisma, Ideenreichtum und mitreißender Begeisterungsfähigkeit ist er Inbegriff eines innovativen und erfolgreichen Naturschutzes geworden.

 

Dabei verließ Claus Reuther ausgetretene Pfade und setzte seine Vision von der Koexistenz von Mensch und Natur in der von ihm begründeten „etwas anderen Art des Naturschutzes“ um.
 

Rettet den Fischotter

Noch zu Beginn des letzten Jahr­hun­derts kam der Fisch­ot­ter überall dort in Deutschland vor, wo es Wasser gab – von der Küste bis auf 2.000 m Höhe in den Alpen, von den großen Strömen, über die Flüsse, Bäche, Seen und Teiche bis hin zu den Feucht­ge­bieten. Doch innerhalb nur weniger Jahr­zehnte hatte sich sein Vorkommen auf den Norden und Osten Deutschlands verringert.

 

Schuld daran war nicht allein die Verfolgung durch den Menschen. Zwar hatte man dem Otter schon immer nachgestellt – zunächst als Fastenspeise, zu der ihn die katholische Kirche erklärt hatte, dann als Lieferant seines besonders in adeligen Kreisen ge­schätzten Fells und letztlich als Nah­rungs­kon­kur­rent des Menschen, der diesem angeblich die Fische streitig machte.

 

Der endgültige Aus aber drohte dieser Marderart durch den Verlust ihrer Le­bens­räume. Die Trockenlegung von Feucht­ge­bieten, die Kanalisierung von Fließ­ge­wäs­sern, die Belastung des Wassers mit Giftstoffen, Massentourismus und Straßen­ver­kehr, das waren Eingriffe, mit denen der Mensch dem Fisch­ot­ter die Überle­bens­möglichkeiten nahm.

Ein Naturschutzsymbol

In dem Maße, in dem die Erkenntnis dieser Zusammenhänge wuchs, wurde der Ruf lauter, dieser Entwicklung ent­ge­gen­zu­wirken. “Rettet unsere letzten Fisch­ot­ter und ihre Lebens­räume” war denn auch der Slogan, unter dem sich ein Dut­zend Natur­schützer am 19. Mai 1979 auf Einladung von Claus Reuther in Braun­lage trafen, und die Aktion Fisch­ot­terschutz e.V. gründeten. Damit drückten sie schon damals aus, dass es ihnen nicht allein um die Rettung des Fisch­ot­ters ging. Dieser war das Naturschutzsymbol für Gewässer und Feucht­ge­biete, und wurde also zum Repräsentanten für ganze Le­bens­räume und Le­bens­ge­mein­schaf­ten. Daran änderte in den Folgejahren auch die positive Be­stands­ent­wick­lung des Fisch­ot­ters nichts, die europaweit seit den 1990er Jahren beobachtet werden kann.

Denn auch wenn der Fisch­ot­ter mit der Rück­er­obe­rung ehemals verlassener Le­bens­räume begonnen hat – noch immer ist er in weiten Teilen Zentraleuropas aus­ge­stor­ben und vor allem sind die Probleme an den Gewässern noch längst nicht behoben.

 

Im Gegenteil – neue Probleme kommen hinzu: die zu­neh­men­de Zerschneidung der Landschaft durch Verkehrs­tras­sen und der ungezügelte Verbrauch von Flächen gehen unvermindert weiter. Und der Kli­ma­wan­del wird viele feuchte Le­bens­räume gefährden: Kleine Bäche und Tümpel trocknen aus, Feucht­wie­sen verschwinden. Auf der anderen Seite nehmen Wetterextreme zu, Hochwasser treten häu­fi­ger und mit oftmals verheerenden Folgen auf. Es bleibt viel zu tun, damit wir in friedlicher Koexistenz mit der Natur leben können.

Das menschliche Talent, sich seinen Le­bens­raum zu schaffen, wird nur durch jenes übertroffen, ihn zu zerstören.
Theodor Heuss

Gegen den Strom

Sich für den Fisch­ot­ter und seine Le­bens­räume einzusetzen, bedeutete zunächst, gegen den Strom zu schwimmen. Vorurteile galt es zu überwinden, wissen­schaft­liche Kenntnislücken waren zu füllen und Schutzkonzepte mussten ent­wi­ckelt werden. Die Basis für diese Arbeit der zu der Zeit rein ehrenamtlich ope­rie­ren­den Aktion Fisch­ot­terschutz bildete das 1979 von der Nie­der­säch­sischen Landesforstverwaltung errichtete Fisch­ot­ter-Forschungsgehege Oder­haus im Harz. Acht Jahre lang wurden dort die Le­bens­weise, die Ge­fähr­dungs­ur­sa­chen und die Möglichkeiten des Schutzes des Fisch­ot­ters erforscht. Von Beginn an sorgte die Aktion Fisch­ot­terschutz dafür, dass diese Erkenntnisse nicht im El­fen­bein­turm der Wissenschaft verblieben, sondern einflossen in praktische und pragmatische Konzepte und Maßnahmen. Das stieß nicht überall auf Zu­stim­mung und so entschied die Niedersächsische Landesregierung 1987, diese damals in Europa einzigartige Forschungsstation zu schließen.

Dem Otter ein Zentrum

Acht Jahre Arbeit, ausgezeichnet mit zahl­reichen Preisen und Ehrungen, Dut­zende von Forschungsprojekten, die Ein­füh­rung eines internationalen Zuchtbuches für Fisch­otter, ein landesweites Schutz­pro­gramm für Otter-Le­bens­räume – das alles sollte nicht umsonst gewesen sein. Also zog die Aktion Fisch­ot­terschutz um – vom Harz in die Heide – und eröffnete 1988 in Hankensbüttel Eu­ro­pas erstes OTTER-ZENTRUM.

 

Gleichzeitig erweiterte sie ihr Tätigkeitsfeld. Nicht allein der Fisch­ot­ter und seine Le­bens­räume standen nunmehr im Mittelpunkt des Interesses. Das bei dieser Tierart so er­folg­rei­che Naturschutzkonzept wurde auch auf seine nächsten Ver­wand­ten, die übrigen heimischen Marderarten und deren Le­bens­räume übertragen.

Naturschutz-Profis

Dieser Schritt war allein auf ehrenamtlicher Basis jedoch nicht zu vollziehen. Profis mussten her, qualifizierte Fachleute, die sich voll und ganz auf den Naturschutz kon­zen­trie­ren können. Dem ganzheitlichen Ansatz seiner Arbeit entsprechend beschäftigt der Verein jedoch nicht nur Biologen und Land­schafts­planer. Interdisziplinarität wird groß geschrieben und so arbeiten auch Agrar-, Forst- und Wasserbauingenieure, Öko­no­men, Pädagogen, EDV-, Medien- oder Verwaltungsfachleute für die Aktion Fisch­ot­terschutz.

Von Gegnern zu Partnern

Naturschutz ist für viele Menschen ein „rotes Tuch“. Verbote, Angriffe gegen die Nutzer und rückwärtsgewandte Sichtweisen prägten früher und teils noch heute das Bild in der Öffentlichkeit. Konfrontationen zwischen Nutzern und Natur­schützern sind üblich. Die Aktion Fisch­ot­terschutz setzte dagegen schon früh darauf, mit allen gesellschaftlichen Kräften in einen kritischen Dialog zu treten. Unternehmen, Landwirte, und viele andere Naturnutzer sollten nicht per se als Natur- und Umweltzerstörer gebrandmarkt, sondern – ganz im Gegenteil – als notwendige zukünftige Partner vom Naturschutz überzeugt werden. Das Motto lautet: Berechtigte Kritik an naturzerstörende Wirtschafts- und Le­bens­wei­sen äußern – aber dabei immer Wege aufzeigen, wie wir in Zukunft im Einklang mit der Natur wirtschaften und gleichzeitig besser leben können.

Anerkannter Naturschutzverband

Dieses Motto gilt auch für die Beteiligung der Aktion Fisch­otter­schutz bei natur­schutz­re­le­vanten Be­tei­li­gungs­ver­fah­ren. Seit 1992 gehört die Aktion Fisch­otter­schutz zu den Naturschutzverbänden, denen gem. § 63 des Bundesnaturschutzgesetzes ein solches spezielles gesetzliches Beteiligungsrecht zusteht. Damit wird auch formal anerkannt, was von Beginn an ihre Arbeit geprägt hat; nämlich Naturschutz als Handlungsdisziplin im Spannungsfeld zwischen ökologischen Wechsel­wir­kun­gen und den sozio-öko­no­mischen und kulturellen Ansprüchen des Menschen zu begreifen – ganz gleich, ob es dabei um die Rettung des Fisch­ot­ters und seiner Le­bens­räume oder um die anderer Lebewesen und ihrer Habitate geht, die als Symbol für ganze Le­bens­ge­mein­schaf­ten stehen.

Naturschutz als nachhaltige Entwicklung

Mit dem ganzheitlichen Verständnis, dass Naturschutz immer die Verbindung zwischen ökologischen Problem­la­gen und sozio-öko­nomischen und kulturellen Ansprüchen des Menschen berücksichtigen muss, ent­wi­ckel­te die Aktion Fisch­otter­schutz schon früh eine Idee, die heute Grundlage der Nach­hal­tig­keits­de­bat­te ist. In diesem Verständnis geht es nicht nur darum, Arten, Le­bens­räume oder ökologische Prozesse zu schützen, sondern die Gesellschaft so zu ent­wi­ckeln, dass ein Schutz der Natur überflüssig wird. Die Vision dieser gesellschaftlichen Entwicklung besteht darin, dass in allen Handlungen ökologische Aspekte gleichrangig neben sozialen und wirtschaftlichen rangieren.