Otter-Verbreitungserhebung

Otter-Verbreitungserhebung

Keine der bis Ende der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts auf dem europäischen Kontinent angewandten Methoden zur Ermittlung der Verbreitung bzw. Populationsentwicklung des Otters hatte zu befriedigenden Ergebnissen geführt. Weder Auswertungen von Jagdstrecken, Umfragen mittels Fragebögen, Expertenbefragungen oder Sammlungen von Zufallsfunden erbrachten verläßliche und vergleichbare Ergebnisse. Lediglich auf den Britischen Inseln war es möglich, gewisse Trendaussagen zu treffen, da dort die Anzahl der Otterfunde bei Jagden mit Otterhundmeuten in Relation gesetzt werden konnten zur Anzahl der Jagdtage der Meuten. Doch als Ende der 70er Jahre diese Jagdart verboten wurde, ging auch diese Bewertungsgrundlage für die Entwicklung der Otterpopulation verloren. Daher suchten englische Wissenschaftler und Naturschützer nach neuen Wegen, die Verbreitung und die Populationstrends des Fischotters zu erfassen.

Es war Dr. Don Jefferies von Nature Conservancy Council, der 1977 vorschlug, eine Stichprobenmethode zu erproben, bei der bestimmte Gewässerabschnitte auf Zeichen der Anwesenheit von Ottern abgesucht werden. Bei Vorversuchen hatte sich gezeigt, dass in der Regel eine Suchstrecke von 600 m Länge ausreicht, um über 95 % aller Otterspuren zu finden, sofern denn an dem abgesuchten Gewässer Otter vorkommen. Weiterhin zeigten die Versuche, dass bei einer Verteilung dieser Suchstrecken in einem Abstand von 5-8 km entlang von Wasserläufen ein verlässliches Bild der Otterverbreitung gewonnen werden konnte.

Diese von 1977 bis 1979 erstmals für großflächige Erhebungen in England, Wales und Schottland eingesetzte Methode wurde in den folgenden Jahrzehnten in vielen europäischen Ländern und Regionen übernommen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil sie 1984 von der IUCN/SSC Otter Specialist Group als „Standard-Methode" empfohlen worden war. 1999 begann eine Arbeitsgruppe der Otter Specialist Group mit einer Überprüfung der Ergebnisse und insbesondere der methodischen Abweichungen der bis dahin nach dieser Methode durchgeführten Erhebungen. Wie sich zeigte, waren zwischenzeitlich so viele Modifikationen vorgenommen worden und zahlreiche neue Erkenntnisse gesammelt worden, dass eine Konkretisierung des „Standards" unvermeidlich war, wollte man den großen Vorteil der Methode bewahren: Die Vergleichbarkeit von Daten aus unterschiedlichen Gebieten oder Zeiträumen. Das Ergebnis war die Veröffentlichung eines von der IUCN/SSC Otter Specialist Group empfohlenen, klarerer definierten und auf ganz Europa ausgerichteten Standards (REUTHER et al. 2000), der im Habitat-Band 12 (Arbeitsberichte der Aktion Fischotterschutz) veröffentlicht ist.

Dieser sieht nunmehr vor, dass innerhalb eines 10 x 10 km große Quadrate umfassenden Rasters, das über das Untersuchungsgebiet gelegt wird, vier Stichprobenorte festgelegt werden, die möglichst gleichmäßig über das Quadrat verteilt sind und das Spektrum der darin vorzufindenden Gewässer widerspiegeln sollen. An diesen Stichprobenorten werden Uferabschnitte von 600 m Länge an Gewässern (bei Fließgewässern nur auf einer Uferseite) abgesucht, wobei der Ausgangspunkt der Suche bevorzugt (und wenn vorhanden) an einer Brücke liegen sollte. Gesucht wird nach Trittsiegeln und Kot des Otters, andere mögliche Feldmerkmale (Ein- und Ausstiege, Fraß- und Wälzplätze, Unterschlüpfe) werden nicht als Nachweis anerkannt. Sobald ein solcher Nachweis für die Anwesenheit von Ottern gefunden wurde, kann die Suche abgebrochen und der Stichprobenort als „positiv" eingestuft werden.

Aus dem Anteil der positiven Stichprobenorte an der Gesamtanzahl der untersuchten Stichprobenorte ergibt sich der „Prozentsatz positiver Stichprobenorte", der als Vergleichsbasis zwischen verschiedenen Regionen oder Zeiträumen dient. Voraussetzung ist jedoch, dass diese Werte tatsächlich mit der gleichen Methode ermittelt wurden. Denn das ist der eigentliche Vorteil der Standardmethode, dass sie nämlich vergleichbare Daten liefert, aufgrund derer Populationstrends erkennbar werden. Was diese Methode nicht leisten kann, das ist die Ermittlung genauer Bestandszahlen. Zwar gibt es Indizien dafür, dass die Anzahl der gefundenen Kotmarkierungen ein Weiser für die Populationsdichte sein könnte. Diese Hypothese ist jedoch in der Fachwelt umstritten.

Da es sich um ein Stichprobenverfahren handelt, spiegeln die Ergebnisse auch nicht das konkrete, flächendeckende Vorkommen von Ottern an allen Gewässern wider. In Gebieten mit einer hohen Gewässerdichte können bei vier Stichprobenorten je 10 x 10 km Quadrat logischerweise nicht alle Gewässer erfasst werden. Da jedoch jeder der vier Stichprobenorte eine Fläche von 25 km2 repräsentiert, erhält man ein recht genaues Bild von der Otterverbreitung.

Der große Vorteil dieser Methode hinsichtlich der Verbreitungsangaben liegt darin, dass die Daten auf tatsächlichen Beobachtungen im Freiland basieren und dass alle Räume mit der gleichen Intensität abgesucht wurden. Die kartenmäßige Darstellung ermöglicht zudem, auf einen Blick zu erkennen, wo in einem Gebiet Otter gefunden wurden, wo gesucht wurde, ohne Otter zu finden, und wo überhaupt nicht nach Ottern gesucht wurde.

Ein weiterer Vorteil der Standardmethode besteht darin, dass über den Prozentsatz positiver Stichprobenorte ein Vergleich der vom Otter besiedelten Areale zwischen Regionen ermöglicht wird. Aus Tabelle 1 kann man beispielsweise für die deutschen Bundesländer, in denen landesweite Erhebungen nach der Standard-Methode durchgeführt wurden, ablesen, dass der Otter in Brandenburg offenbar fast flächen­deckend vorkommt, während in Mecklenburg-Vorpommern das Verbreitungsgebiet bereits erhebliche Lücken aufweist und in Schleswig-Holstein nur noch frag­men­ta­rische Ottervorkommen bestehen. Letzteres trifft sicherlich auch für Niedersachsen zu, dessen Ergebnis aber nur bedingt vergleichbar ist, da bei der Untersuchung die Landesteile ausgespart wurden, in denen mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Otter mehr vorkommen. Würde man diese in die Auswertung einbeziehen, läge der Anteil positiver Stichprobenorte in diesem Bundesland bei lediglich 1,2 % (bezogen auf 1991/92).

BundeslandErhebungsjahrSPO
gesamt
Positive
SPO
Quelle
Brandenburg1995 - 19971.37181,8%TEUBNER et al. 1999
M.-Vorpommern1992 - 199484461,4%BINNER 1997
Schleswig-Holstein19993073,9%FEHLBERG und
BLEW 1999
(Nord-)Niedersachsen1991 - 19929381,9%BINNER und
REUTHER 1996

Tab. 1: Ergebnisse nach der Standard-Methode durchgeführter Otter-Verbreitungs­­er­hebungen in Deutschland (SPO = Stichprobenorte).

Noch interessanter sind die Erkenntnisse, die sich durch diese Methode gewinnen lassen, wenn man die gleichen Räume über bestimmte Zeiträume beobachtet. Dann lassen sich aus einer ab- oder zunehmenden Verbreitung Trends zur Populations­entwicklung erkennen (siehe Abb. 2). Diese wiederum ermöglichen verlässliche Rückschlüsse auf den tatsächlichen Gefährdungsgrad des Otters. So zeigen die Ergebnisse in Tabelle 2 aus den vier Ländern Europas, die bereits dreimal nach der Standardmethode untersucht worden sind, einen eindeutigen Aufwärtstrend. Hier hat der Otter offensichtlich Räume zurückerobert.

LandIdentische SPOJahr/e 1. ErhebungPositive SPOJahr/e 2. ErhebungPositive SPOJahr/e 3. ErhebungPositive SPO
Dänemark6331984-198615,2%199124,1%199635,5%
England2.9401977-19795,8%1984-19869,7%1991-199423,4%
Wales1.0081977-197820,0%1984-198538,0%199153,0%
Schottland2.6501977-197957,0%1984-198565,0%1991-1994 

Tab. 2: Entwicklung der Otter-Verbreitung in den Ländern Europas, in denen bisher mehr als eine Wieder­holungs­erhebung nach der Standard-Methode durchgeführt wurde.

Ein solches Monitoring ermöglicht aber auch die Darstellung der Populationsentwicklung auf der regionalen Ebene, aus der dann wiederum Rückschlüsse auf mögliche Einflussfaktoren gezogen werden können. Die unterschiedliche Entwicklung in den in Abbildung 3 dargestellten dänischen Regionen beispielsweise führen die dortigen Fachleute auf den zeitlich versetzen Einsatz von Reusenschutzgittern zurück.

Die Vereinheitlichung der Erfassungsmethode war jedoch nur eine der Herausforderungen, die es im Rahmen des Projektes ISOS zu meistern galt. Das ehrgeizige Ziel, mit ISOS auf europäischer Ebene arbeiten zu können, erforderte auch Pionierarbeit im Bereich der Kartographie und der Aufbereitung der Daten zur Verarbeitung in Geographischen Informationssystemen. Welche Hindernisse dabei zu überwinden waren und zu welchen Ergebnissen diese Bemühungen führten, können Sie im Abschnitt „Kartengrundlage“ nachlesen.

Literatur

BINNER, U. (1997): Die Verbreitung des Fischotters in Mecklenburg-Vorpommern. Natur und Naturschutz in Mecklenburg-Vorpommern 33: 3-41.

BINNER, U.; REUTHER, C. (1996): Verbreitung und aktuelle Situation des Fischotters in Niedersachsen. Informationsdienst Naturschutz Niedersachsen 16(1): 3-29.

BRZEZINSKI, M.; ROMANOWSKI; J.; CYGAN, J.P.; PABIN, B. (1996): Otter Lutra lutra distribution in Poland. Acta Theriologica 41(2): 113-126.

FEHLBERG, U.H.W.; BLEW, J. (1999): Verbreitung des Fischotters (Lutra lutra) in Schleswig-Holstein. Abschlußbericht `Arbeitsgruppe Fischotter', Kiel, 22 S.

REUTHER, C.; DOLCH, D.; GREEN, R.; JAHRL, J.; JEFFERIES, D.; KREKEMEYER, A.; KUCEROVA, M.; MADSEN, A.; ROMANOWSKI, J.; ROCHE, K.; RUIZ-OLMO, J.; TEUBNER, J.; TRINDADE, A. (2000): Surveying and Monitoring Distribution and Population Trends of the Eurasian Otter (Lutra lutra). Habitat Nr. 12, Hankensbüttel, 148 S.

TEUBNER, J.; DOLCH, D.; BLUM, H. (1999): Die aktuelle Verbreitung des Fischotters Lutra lutra (L., 1758) im Land Brandenburg. Naturschutz und Landschaftspflege in Brandenburg 8(3): 84-92.