Grünland – ein wahres Multitalent

Grünland ist nicht nur unglaublich vielfältig, es ist auch ein wahres Multitalent: Es liefert Futter für viele unserer Nutztiere, Biomasse, die energetisch verwertet werden kann und ist ein wahrer Hotspot für Biodiversität. Es ist ein wichtiger Bestand­teil unserer Kulturlandschaft, gehört für viele zu einem ästhetischen Landschaftsbild einfach dazu und ist somit ein be­deu­ten­der Faktor für Freizeit- und Erholungsnutzung. Zu guter Letzt ist unser Grünland auch unverzichtbar beim Kampf gegen den Klimawandel. Denn gerade Feuchtgrünland hält viel Wasser in der Landschaft und unter intaktem Grünland lagern sehr große Kohlenstoffvorräte. Aber nicht jede Art von Grünland erfüllt alle diese Funktionen bzw. Ökosystem­leistungen glei­cher­ma­ßen gut. Intensiv genutztes Grünland (gedüngt und mit drei- bis sechsmaliger Nutzung pro Jahr) dient vor allem der Erzeugung von qualitativ hochwertigem Futter für Wiederkäuer, insbesondere Milchkühe.

 

Bei Starkregenereignissen kann Grünland aufgrund der besseren Verteilung von wasserleitenden Poren im Boden deutlich mehr Wasser aufnehmen als Ackerland. Die Kohlenstoffvorräte im Boden sind unter Grünland knapp 1,4-mal so hoch wie unter regelmäßig gepflügtem Ackerland. Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass jeder Umbruch von Grünland zu Ackerland oder Bauland zwangsläufig eine Freisetzung von CO2 nach sich zieht. Wird jedoch Acker zu Grünland um­ge­wan­delt oder wird drainiertes Grünland wieder vernässt, so wird zusätzlich Kohlenstoff im Boden gebunden. Auch eine Er­hö­hung der Artenvielfalt (vor allem eine Zunahme von tief wurzelnden Kräutern oder Leguminosen) bewirkt eine vermehrte Kohlenstoffspeicherung im Boden, gerade in tieferen Bodenschichten.

 

Das Intensivgrünland, das über 80 % des Grünlands in Deutschland ausmacht, kann jedoch vor allem bei der Biodiversität und Ästhetik weitaus weniger punkten als extensiv genutztes Grünland oder Biotopgrünland. Letzteres wird vor allem aus Naturschutzgründen gepflegt. Die Erträge sind meist so gering, dass eine rentable landwirtschaftliche Nutzung nicht mög­lich ist. Extensiv-Grünland bringt auf nährstoffreichen Standorten oder bei geringer Düngung noch mittlere Erträge, wäh­rend die Artenvielfalt bei standortangepasster Nutzung relativ hoch sein kann. Auf Biotopgrünland wird sogar ein Welt­re­kord aufgestellt: Auf Kalkmagerrasen wurden in Rumänien ganze 43 verschiedene Pflanzenarten auf einer Fläche von nur 10 x 10 cm (!) gefunden. In keiner anderen Pflanzengesellschaft der Welt (auch nicht im Regenwald) wird dieser Wert er­reicht. Auch die beweideten Kalkmagerrasen Deutschlands, die nur an trockenen, steilen Hanglagen zu finden sind, haben im besten Fall beachtliche 40-50 Pflanzenarten pro m2. Auf intensiv genutztem Grünland findet man auf derselben Fläche nur etwa 4-7 Arten – die meisten davon Gräser, sodass hier Insekten kaum Nahrung finden. Extensiv genutztes Grünland steht, was die Artenvielfalt betrifft, zwischen diesen beiden Extremen. Die vereinseigenen Grünlandflächen an der Ise fallen mit Artenzahlen von 7-23 pro m2 auch unter die Kategorie „extensives Grünland“. Hier ist unter Umständen auch eine mä­ßige Dünung erlaubt, um die landwirtschaftliche Verwertung des Aufwuchses zu verbessern.

 

Je mehr Kräuter und Leguminosen auf einem Grünland zu finden sind, desto mehr Insekten (vor allem Schmetterlingen) und Insektenfressern (Vögeln, Fledermäusen, Eidechsen) bietet es Lebensraum. Das ist z.B. auf Extensiv-Grünland der Fall, wenn es angemessen bewirtschaftet wird und nicht verarmt ist.

 

In Niedersachsen waren 2004 beispielsweise nur 17 % des Grünlands nicht durch Düngung und An- oder Übersaaten mit Hochleistungsfuttergräsern in ihrer Artzusammensetzung verarmt, nur 7 % des Grünlands waren sehr artenreiches Bio­top­grünland. Und selbst dieses befindet sich in keinem guten Zustand. Im letzten Bericht zum Zustand der nach der eu­ro­päi­schen Fauna-Flora-Habitat Richtlinie (FFH) geschützten Lebensräume und Tierarten (2020), der alle sechs Jahre vorgelegt wird, schnitten die Grünland-Lebensraumtypen am schlechtesten ab – nur den schmelzenden Gletschern geht es noch schlechter. Von den Grünlandtypen, die einem FFH-Lebensraumtyp zugeordnet werden können (u.a. extensiv genutzte Mähwiesen, Magerrasen und Nasswiesen) befinden sich 55 % in einem ungünstig-schlechten Zustand, weniger als 10 % sind in einem günstigen Zustand. Dabei sind nicht nur Grünlandtypen auf ohnehin schon seltenen Sonderstandorten (wie Kalk-Magerrasen) bedroht, sondern auch extensives Grünland mittlerer Standorte (artenreiche Flachland- oder Berg-Mähwiesen). Ähnlich schlecht sieht es für die vom Grünland abhängigen Tierarten aus. Grund dafür sind vor allem Nähr­stoff­ein­träge über Düngung sowie über die Luft und Landnutzugsänderungen – die Intensivierung (häufigere Nutzung gepaart mit stärkerer Düngung) ebenso wie zu starke Extensivierung bis hin zur Bewirtschaftungsaufgabe. Letztere führt dazu, dass sich Grünland in letztendlich zu Wald entwickelt.

 

Dauergrünland zu erhalten kostet Zeit, Arbeit und weitere Ressourcen. Gerade bei extensiver Bewirtschaftung ist oft Spe­zi­al­wissen gefragt. Durch den fortschreitenden Klimawandel (insbesondere die Frühjahrstrockenheit) sinkt die Produktivität und die Grünlanderträge schwanken stark. Artenreiches Grünland kann Extremwetterlagen zwar bis zu einem gewissen Grad abpuffern, weil mehr Arten „einspringen“ können, wenn z.B. feuchteliebende Gräser bei Trockenheit absterben. Grünland bewirtschaftende Betriebe haben dennoch eine hohe Ungewissheit und große Zukunftsängste. Solange eine extensive Grünlandbewirtschaftung nicht angemessen finanziell und gesellschaftlich honoriert wird, sind die meisten Landwirt*innen weiterhin gezwungen, aus ihrem Grünland ein Maximum an Ertrag herauszuholen. Eine Wieder­her­stel­lung von artenreichem Extensiv-Grünland ist unter diesen Voraussetzungen kaum möglich.

 

In der aktuellen UN-Dekade für die Wiederherstellung von Ökosystemen sollen degradierte Ökosysteme weltweit wieder­her­gestellt, ihre weitere Zerstörung gestoppt und eine nachhaltige Nutzung derselben etabliert werden. Aber wie genau man am effektivsten artenreiches Grünland wiederherstellen kann, wenn Düngeverzicht allein keine ausreichenden Erfolge bringt, ist noch viel zu wenig erforscht.

 

Genau diese Problematik wird nun auf den vereinseigenen Grünlandflächen an der Ise mit dem Projekt „GrünlandVielfalt: Ökologische und gesellschaftliche Grünland-Transformation in der Ise-Niederung“ angegangen.

 

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